Österreich pflegt den Mythos der Neutralität. Diese Haltung, historisch in der Geopolitik verankert, wird fälschlicherweise auf die digitale Infrastruktur übertragen. Die vorherrschende Haltung in den Führungsetagen lautet: Cloud-Lösungen sind effizient, und die Herkunft des Anbieters ist irrelevant. Das ist nicht nur naiv, sondern eine strategische Kapitulation.
Die digitale Komfortzone brennt: Der Realitäts-Check
Die Realität ist: Österreich ist im digitalen Raum nicht neutral, sondern ein Protektorat der US-amerikanischen Hyperscaler. Die Entscheidung für AWS, Azure oder Google Cloud ist keine neutrale Technologie-Wahl. Es ist eine Entscheidung für eine fremde Jurisdiktion.
Datenpunkt: Schätzungen zufolge laufen über 85% der kritischen Workloads österreichischer Großunternehmen und wichtiger KMUs auf Infrastrukturen, die dem US Cloud Act unterliegen. Das bedeutet: Die Daten sind nicht souverän. Sie sind jederzeit auf Anforderung einer US-Behörde zugänglich, selbst wenn die Server physisch in Frankfurt oder Wien stehen. Das ist kein Compliance-Risiko, sondern ein strukturelles Sicherheitsrisiko.
Digitale Souveränität ist kein IT-Projekt, sondern eine Überlebensstrategie. Wer seine kritischen Daten in einem System speichert, das er nicht kontrolliert, hat die Kontrolle über sein Geschäftsmodell aufgegeben.
Die Mechanik der Abhängigkeit: Warum wir die Kontrolle verlieren
Die Abhängigkeit ist nicht durch mangelnde Alternativen entstanden, sondern durch mangelnden Mut zur Komplexität und eine Latenz in der strategischen Entscheidungsfindung.
- Der Vendor Lock-in als strategische Paralyse: Die großen US-Anbieter bieten eine strukturell überlegene Skalierbarkeit und ein Ökosystem, das europäische Alternativen in der Breite nicht bieten können. Der Wechselaufwand (Vendor Lock-in) ist so hoch, dass er als strategische Paralyse wirkt. Die Bequemlichkeit der "One-Stop-Shop"-Lösung wird mit der Handlungsfähigkeit bezahlt.
- Die Rechts-Illusion: Seit dem Schrems II-Urteil ist klar, dass der Datentransfer in die USA rechtlich nicht abgesichert ist. Dennoch ignorieren Unternehmen und öffentliche Stellen dieses Compliance-Risiko. Sie setzen auf juristische Fiktionen (wie vertragliche Zusicherungen) statt auf technische Lösungen (wie Ende-zu-Ende-Verschlüsselung oder europäische Infrastruktur).
- Die Gaia-X-Latenz: Projekte wie Gaia-X – Europas Versuch, eine föderierte Dateninfrastruktur zu schaffen – sind architektonisch richtig, aber in der Umsetzung zu langsam und zu bürokratisch. Während in Österreich über die Governance diskutiert wird, schaffen die Hyperscaler Fakten im Markt. Datenpunkt: Die Akzeptanz von Gaia-X-konformen Lösungen im österreichischen Mittelstand ist aufgrund der Komplexität und der fehlenden Marktreife gering.
Der Impact: Die Erosion der Wettbewerbsfähigkeit
Die Konsequenzen dieser kontrollierten Ungeduld sind weitreichend und betreffen den gesamten Standort Österreich. Status: CRITICAL.
- Wettbewerbsnachteil durch Subventionierung: Europäische Alternativen, die DSGVO-konforme Souveränität bieten, werden durch die aggressiven Preismodelle der Hyperscaler unterboten. Das ist kein fairer Wettbewerb, sondern eine Subventionierung der Abhängigkeit. Die Margen der europäischen Anbieter werden strukturell zerstört.
- Resilienz-Verlust in der Krise: Im Falle einer geopolitischen Krise oder eines Cyberangriffs auf die zentralen Infrastrukturen der Hyperscaler ist die österreichische Wirtschaft strukturell nicht handlungsfähig. Die Ausfallwahrscheinlichkeit ist extern bestimmt. Die Latenz bei der Wiederherstellung kritischer Dienste kann existenzbedrohend sein.
- Innovations-Blockade: Die Abhängigkeit von fremden Plattformen führt zu einer Homogenisierung der IT-Landschaft. Echte, disruptive Innovation, die auf digitaler Souveränität basiert, wird durch die Notwendigkeit, im vorgegebenen Ökosystem zu bleiben, strukturell behindert.
Die Forderung: Der Actionable Path zur digitalen Unabhängigkeit
Wir brauchen keine neuen Förderungen. Wir brauchen digitale Souveränität als staatlich verordnetes Mandat und eine radikale Umkehr in der Beschaffung.
- Mandat zur Dezentralisierung: Öffentliche Hand und kritische Infrastrukturen müssen verpflichtet werden, eine echte Multi-Cloud-Strategie zu implementieren, die mindestens 50% der kritischen Workloads auf europäische oder österreichische, souveräne Infrastrukturen verteilt. Nicht A, sondern B: Die Cloud ist kein Ort, sondern ein Betriebsmodell. Dieses Modell muss auf verteilten, kontrollierbaren Infrastrukturen laufen.
- Investition in Open Source: Statt Milliarden in Lizenzgebühren zu verbrennen, muss massiv in Open-Source-Technologien investiert werden. Open Source ist keine Ideologie, sondern die einzige skalierbare Basis für digitale Unabhängigkeit. Nur so entsteht technologische Kompetenz im eigenen Land.
- Umschulung der Systems Architects: Der Fokus muss von der Administration von Legacy-Systemen auf die Architektur von souveränen, verteilten Systemen verlagert werden. Wir brauchen keine Cloud-Admins, sondern Systems Architects, die den Datenfluss und die Rechtslage verstehen.
Die Komfortzone der einfachen Cloud-Lösung ist abgebrannt. Es ist Zeit, die Systeme neu zu denken. Die Frage ist nicht, ob wir uns das leisten können. Die Frage ist, ob wir uns die Abhängigkeit noch leisten wollen.
Quellenverzeichnis: [1] EU-Studie zur Cloud-Nutzung in Europa 2024 – Eurostat [https://ec.europa.eu/eurostat] [2] Analyse der österreichischen Cloud-Strategie 2025 – Digital Austria [https://www.digitalaustria.gv.at] [3] Schrems II und die Folgen für den Datentransfer – Rechtsgutachten [https://noyb.eu] [4] Gaia-X Hub Austria: Vision & Mission [https://www.gaia-x.at/vision-mission/] [5] Der Standard: Microsoft gesteht: USA könnten sich Zugriff auf EU-Daten verschaffen [https://www.derstandard.at]
Quellen & Referenzen
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